Fahrraddiebstahl in Europa – von Schweizer E-Bikes bis zu internationalen Schmuggelrouten
Die Schweiz erlebt derzeit ein paradoxes Phänomen: E-Bikes sind gefragter denn je – und gleichzeitig Ziel organisierter Diebesbanden. Was früher eine lästige Randerscheinung war, hat sich zu einem europaweiten Mobilitätsproblem entwickelt.
Schweiz im Fokus
Der E-Bike-Markt in der Schweiz boomt. Laut ”Verified Market Research” lag der Marktwert 2024 bei rund 1,3 Milliarden USD und soll bis 2032 auf über 3,3 Milliarden wachsen. Mit steigender Nachfrage wächst jedoch auch die Begehrlichkeit: Hochwertige, leicht transportierbare Bikes sind für professionelle Diebe ein lohnendes Ziel.
Allein 2022 wurden laut Galaxus über 14’000 E-Bikes gestohlen – mehr als doppelt so viele wie 2020. Insgesamt meldet das Bundesamt für Statistik über 54’000 Fahrraddiebstähle pro Jahr, Tendenz steigend. Die Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Vorfälle werden gar nicht erst angezeigt. Laut TWINT liegt die Dunkelziffer bei mindestens dem Doppelten.
Auch die Versicherungsgesellschaft AXA bestätigt: Rund 9’000 gemeldete Diebstähle pro Jahr führen zu Schadenzahlungen von über 22 Millionen CHF. Der Durchschnittswert eines gestohlenen E-Bikes liegt bei etwa 3’100 CHF. Besonders betroffen sind dicht besiedelte Kantone wie Zürich, Basel-Stadt oder Bern. In Basel wurde laut SRF-Bericht sogar ein Fall dokumentiert, bei dem ein in der Schweiz gestohlenes E-Bike in Albanien wieder auftauchte – ein Hinweis auf gut organisierte internationale Strukturen.
Das europäische Ausmass
Europaweit zeigt sich das gleiche Bild – nur in grösserem Massstab. Laut der European Cyclists’ Federation werden jedes Jahr rund 1,3 Millionen Fahrräder in Europa gestohlen. Andere Schätzungen sprechen sogar von bis zu 2,9 Millionen pro Jahr – also 331 Fahrräder pro Stunde (Invoxia).
Deutschland meldet laut Bundeskriminalamt jährlich etwa 260’000 polizeilich registrierte Fälle, wobei die tatsächliche Zahl inklusive Dunkelziffer bei über 600’000 liegen dürfte. In den Niederlanden – einem Land, das als Veloparadies gilt – werden jedes Jahr über 500’000 Fahrräder entwendet, also etwa ein Fahrrad pro Minute (We Love Cycling).
In Frankreich schätzt das Innenministerium über 420’000 Diebstähle jährlich, ein Anstieg um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr (ConnectedCycle). Auch in Grossbritannien wurden laut ONS zuletzt rund 60 000 Fälle erfasst, mit einer Aufklärungsquote von nur 1,7%.
Was früher spontane Gelegenheitstaten waren, ist heute vielfach organisierte Kriminalität. In den Niederlanden, Deutschland und Frankreich operieren professionelle Banden, die gezielt hochwertige E-Bikes stehlen, sie in Lagerhäusern sammeln und anschliessend über Grenzen hinweg verkaufen – oft in Osteuropa oder online über Kleinanzeigenportale. Die EU-Forschungsplattform CORDIS nennt Fahrradklau ein „nahezu risikofreies Delikt“, bei dem nur vier bis fünf Prozent der Räder jemals zurückkehren.
Hinzu kommen die sozialen Folgen: Laut einer europaweiten Umfrage von AlterLock haben 47% der britischen, 64% der niederländischen und 65% der deutschen Radfahrer:innen schon einmal ein Fahrrad verloren. Etwa ein Viertel der Betroffenen ersetzt ihr gestohlenes Bike nie wieder (CORDIS). Damit verliert die urbane Mobilität nicht nur Fahrräder, sondern auch aktive Nutzer:innen.
Wege aus der Spirale
Wie lässt sich dieser Trend stoppen? Einzeln, kommunal und politisch.
Auf persönlicher Ebene bleibt ein hochwertiges Schloss (zertifiziert nach EN oder ART), eine feste Verankerung und das Entfernen von E-Bike-Akkus der wichtigste Schutz. Zusätzlich helfen GPS-Tracker und digitale Registrierungen. Nationale Register wie Bikeep oder die von Städten betriebene Fahrrad-ID-Plattform verbessern die Chancen auf Wiederauffindung.
Städte können mit sicherer Infrastruktur gegensteuern: überwachte Velostationen, gut beleuchtete Abstellanlagen und abgeschlossene Veloabstellanlagen senken die Diebstahlrate deutlich. Beispiele aus Zug zeigen, dass über ein Drittel aller Diebstähle in privaten Garagen oder an Bahnhöfen passieren (Zug4You).
Politisch notwendig ist ein europaweit kompatibles Registrierungssystem. Die Harmonisierung von Seriennummern, QR-Codes oder RFID-Tags würde den Export gestohlener Räder erschweren. Auch Versicherungen könnten Anreize schaffen – etwa niedrigere Prämien für GPS-gesicherte oder in zertifizierten Anlagen parkierte Bikes.
Kapo BS: “Käufer weiss nicht zwingend, dass es Hehlerware ist” - Quelle SRF
Fahrraddiebstahl ist längst kein Bagatelldelikt mehr. Allein in Europa verschwinden jedes Jahr Millionen von Rädern – ein Verlust, der nicht nur Einzelne trifft, sondern das Vertrauen in nachhaltige Mobilität schwächt.
Die Schweiz steht dabei exemplarisch: ein Land mit wachsender E-Bike-Dichte, hohem Wohlstand und offenen Grenzen. Fälle wie das nach Albanien verschobene Basler E-Bike sind mehr als Anekdoten – sie zeigen, wie vernetzt diese Kriminalität längst ist.
Investitionen in sichere Abstellanlagen, vernetzte Datenbanken und ein Bewusstsein dafür, dass Prävention günstiger ist als Ersatz, sind der Schlüssel. Denn jedes Rad, das sicher steht, stärkt die Mobilität von morgen.